Es herrscht Katzenjammer in den Städten und Gemeinden. Die Hilfe für Geflüchtete beginnt gerade, nach anfänglichem Chaos, Struktur und Formen anzunehmen und nun bekommen Asylsuchende in großer Zahl Ablehnungsbescheide zugestellt. Besonders trifft es Familien, u.a. vom West-Balkan, die vielfach noch vor den großen Flüchtlingsströmen aus den Kriegsgebieten nach Deutschland gekommen sind und sich in den vergangenen Monaten hier um einen Neustart bemüht haben. Nach Kräften haben sie sich in einem Land zurechtzufinden versucht, das sie vorher meist nur vom verheißungsvollen Hörensagen kannten und in dem sie Ernüchterung über Arbeitsmarktchancen und bürokratische Herausforderungen kennenlernten, aber auch große Unterstützung von ehrenamtlichen Helfern und lokalen Verwaltungen.
Freiwillige Ausreise oder Androhung der Abschiebung – das ist, bei aller Einsicht, auch für die Unterstützer zunächst mal ein Schlag in die Magengrube. Man hat sich angestrengt, Zeit, Kraft und Emotionen eingesetzt, wollte Menschen helfen, sich aber auch bürgerschaftlich engagieren, „den Staat“ unterstützen. Und nun das. Der Verwaltungsbescheid bedeutet „raus, und zwar so schnell wie möglich“ und fühlt sich an wie eine Niederlage, für alle Beteiligten. Für die Asylbewerber, die erkennen müssen, dass sie offenbar die falsche Entscheidung getroffen haben. Für die Helfer, deren Bemühungen um Spracherwerb und Integration plötzlich zunichte gemacht scheinen.
Frustration, Helfer-Burnout. Wenn das nicht zu einem Kräfteverlust führen soll, gerade in Zeiten, wo die eigentliche Arbeit ja noch weitgehend vor uns liegt, sollten Wege aufgezeigt werden, wie Betroffene positiv mit der Situation umgehen können. Gleichzeitig könnte eine bewusste Form der Kommunikation und Hilfestellung auch ein wichtiges Signal für einen wertschätzenden Umgang der niedersächsischen Landesregierung mit dem Engagement und der Leistungsbereitschaft haupt- und ehrenamtlicher Flüchtlingsbetreuer sein. Aber auch mit den Zukunftsplänen der abgelehnten Asylbewerber.
Denn, egal wie die Entwicklung Europas genau aussehen wird: Zusammen mit der Willkommenskultur könnte sich Abschiedskultur im Hinblick insbesondere auf die Westbalkanstaaten auch als eine sinnvolle Investition erweisen. Sie vermeidet – der saloppe Vergleich sei erlaubt – Ressourcenverschwendung. Sind doch mit jedem einzelnen Asylbewerberschicksal „Ressourcen“ verbunden, die, nicht rückholbar, bereits eingesetzt wurden.
Von den Asylbewerbern selbst, die sich, neben der Aufgabe der bisherigen Existenz, oft Geld leihen mussten, um ihren Weg und vielfach auch noch Schlepper zu bezahlen. Die in Deutschland einen Lernprozess durchgemacht haben, der neben dem Spracherwerb und gesellschaftlicher Orientierung, in den meisten Fällen auch schmerzliche Erkenntnisse darüber beinhaltete, dass viele der Verheißungen, die in ihren Heimatländern kursieren, mit der deutschen Realität wenig gemein haben, dass sie vielfach falsch informiert waren über Antragsverfahren, Asylvoraussetzungen, zu erwartende Leistungen – egal aus welchem Grund. Auch ohne arbeiten zu dürfen, haben sie in ihrer Zeit in Deutschland etwas erarbeitet, nämlich u.a. eine realistische Einschätzung, die es, zurückgetragen in ihre Heimatländer, Deutschland in den nächsten Jahrzehnten erleichtern könnte, dringend benötigte Arbeitskräfte anzuwerben. Oder neue Wirtschafts- und Handelsbeziehungen, gerade auf mittelständischen Niveau, aufzubauen.
Ressourcen, nicht nur finanzieller Art, wurden aber auch eingesetzt von der Bundesrepublik Deutschland und ihren Behörden und staatlichen Institutionen. Bundesweit, auf Länderebene, in Kreisen, Städten und Gemeinden. Von Beamten und Verwaltungsangestellten, die in Chaos und einer sich ständig verändernden Gesetzes- und Verordnungslage ihr Bestes gegeben haben. Darüber hinaus von den Hauptamtlichen der Hilfsorganisationen und den zahllosen Ehrenamtlichen.
Gelingt es, den „Mitbürgern auf Zeit“ ein verlässliches Beziehungsgeflecht wieder mit in die Heimat zu geben, hat dies nicht nur eine psychosoziale und andererseits humanitäre Bedeutung, sondern könnte sich auch als wirtschaftlich sinnvoll erweisen.
Auf der offiziellen Webseite der niedersächsischen Staatskanzlei zum Thema Flüchtlinge mit einem beeindruckenden Informationsangebot werden symbolisch die Schlüssel zur Integration von Asylbewerbern dargestellt, deren Anträge positiv beschieden wurden. Dass gleichzeitig zur Willkommenskultur und zu den notwendigen Integrationsprozessen zunehmend Geflüchtete wieder aus Deutschland ausreisen müssen, bleibt unberücksichtigt.
Ein weiterer Schlüssel in der Arbeit mit und für Geflüchtete ist für APROTO, wie oben ausführlich beschrieben, die Etablierung einer Abschiedskultur. Sie kann helfen, abgewiesene Asylantragsteller die Ausreise nicht mehr als "Abschiebung" empfinden zu lassen, sondern das Gefühl und die Gewissheit vermitteln, dass sie durch kulturelle,
intellektuelle und vor allem menschliche Werte gestärkt zurückkehren. Gleichzeitig und nicht unbedeutender kann Abschiedskultur dazu beitragen, das Engagement der ehrenamtlichen und hauptberuflichen Helfer - bei scheinbarer Erfolglosigkeit im Einzelfall - nachhaltig zu stabilisieren und zu stärken.
In den vergangenen Monaten hat APROTO Geflüchtete ab dem Zeitpunkt des negativen Bescheides zum Asylantrag Geflüchtete in unterschiedlicher Weise bis zur Ausreise betreut. Dazu gehörten persönliche Gespräche, Hilfestellung bei administrativen Notwendigkeiten, aber auch letzte Zusammentreffen mit in Deutschland neu gewonnen Freunden um - zumindest vorläufig - Abschied zu nehmen. Dies fand, je nach Wunsch der Geflüchteten und entsprechend den organisatorischen Möglichkeiten, in ganz unterschiedlichen Rahmen statt. Von sehr privaten und persönlichen Verabschiedungen bis hin zu größeren Abschiedsfeiern mit anderen Asylbewerbern, mit Helferinnen und Helfern und anderen Einheimischen.
Wir halten gezielte zeitnahe Maßnahmen für dringend erforderlich, um Abschiedskultur im Zusammenhang mit abgewiesenen Asylbewerbern auch überregional zu etablieren.