Balkanroute rückwärts

Zafar Iqbal:

„Noch sechs Monate hier und ich bin nicht mehr am Leben.“

 

Abgeschoben nach Italien in ein trostloses Camp bei Varese

APROTO besucht Zafar, um sich ein Bild von seiner Situation zu machen

Wiedersehen in Deutschland mit seinem Vater Karim

Zurück in Deutschland mit Max-Fabian Wolff-Jürgens

Zafar Iqbal, 36, flüchtet als Angehöriger einer verfolgten religiösen Minderheit aus Pakistan nach Deutschland, wo sein Vater seit 26 Jahren lebt und mittlerweile die deutsche Staatsangehörigkeit hat. Auf dem Weg werden ihm 2014 in Libyen von korrupten Staatsbediensteten sämtliche Papiere gestohlen. Nach einem Gefängnisaufenthalt muss er deshalb seine Flucht auf dem Land- und Seeweg fortsetzen und betritt in Italien erstmals europäischen Boden.


Er macht von Anfang an klar, dass er nach Deutschland zu seinem Vater will. Aber, anders als andere, entzieht er sich nicht der Abgabe seiner Fingerabdrücke und macht hinsichtlich seiner Personalien wahrheitsgemäße Angaben. Nach einer Odyssee durch Flüchtlingslager in Italien und Österreich wird er am 27.4.2015 in Friedland als Asylsuchender registriert und entsprechend seinen Angaben der Gemeinde Bispingen zugewiesen, in der sein Vater seit sechzehn Jahren lebt und arbeitet.


Auf Wunsch der Gemeinde, der die Wohnung des Vaters zu klein für zwei Personen erscheint, bezieht Zafar Iqbal zunächst ein Zimmer im Ortsteil Steinbeck und besucht die ehrenamtlich geleiteten Deutschkurse der Gemeinde. Bereits im Herbst 2015 sind seine Integrationsbemühungen so weit fortgeschritten, dass er mit Genehmigung der Ausländerbehörde eine Arbeit annehmen kann. Er arbeitet bei McDonald's in Bispingen, zieht zu seinem Vater, und die staatlichen Unterstützungsleistungen können eingestellt werden.


Zafar Iqbal nimmt weiter am Deutschkurs teil, arbeitet sich erfolgreich ein, hat gute Kontakte zu Kollegen und bekommt im Sommer 2016 von seinem Arbeitgeber das Angebot, ab 1. Januar 2017 eine Ausbildung zu beginnen.

Im Mai 2016 findet die Erstbefragung zu seinem Asylantrag statt, bei der vor allem der zuständige Mitgliedstaat zur Durchführung des Asylverfahrens geklärt werden soll. Trotz wiederholter Erläuterungen, u.a. warum die Einreise über Italien erfolgen musste, wurden seine Einwendungen gegen die Zuständigkeit eines Drittlandes unzureichend oder gar nicht protokolliert.


Trotzdem das italienische Innenministerium auf die am 13.6.2016 gestellte „Take back“-Anfrage niemals reagiert hat, wird Zafar Iqbal, nach „wegen Unzulässigkeit“ abgelehntem Einspruch vor dem Landgericht Lüneburg, am 25.11.2016 als Ausweis-Ersatz eine Bescheinigung ausgehändigt, dass seine Abschiebung eingeleitet wurde und ihm jegliche Erwerbstätigkeit untersagt ist. Zu diesem Zeitpunkt ist die IHK dabei, seinen Ausbildungsvertrag auszustellen. Die Ausländerbehörde kündigt einen erneuten Termin zur Klärung der Ausreise an. Stattdessen klingeln am 14. Dezember 2016 morgens um 4 Uhr sechs Polizisten an der Wohnungstür seines Vaters. In großer Eile darf er nur eine kleine Tasche Kleidung mitnehmen und kein Geld mehr vom Geldautomaten holen. Ohne Zielangabe wird er zum Flughafen gefahren und in ein Flugzeug nach Mailand gesetzt, wo er die ersten sieben Tage obdachlos, krank und völlig mittellos auf Bahnhöfen kampieren muss, bis er in ein Camp mit mafiösen Strukturen eingewiesen wird. Durch die katastrophalen Heizungs- und Ernährungsbedingungen wird Zafar Iqbal immer kränker. Die nach Tagen erscheinende Ärztin „verschreibt“ ihm rezeptfreie Medikamente, die er sich auf eigene Kosten im acht Kilometer entfernten Ort holen muss. Als er sich weigert, den Bezug von nicht erhaltenen Hygieneartikeln zu quittieren, wird ihm – ebenso wie nach der Bitte um dickere Decken – angedroht, nachts aus dem Camp ausgewiesen zu werden. Ebenso, als er sich darüber beklagt, dass es, statt den auf Essensplänen in der Küche angegebenen Mahlzeiten, täglich nur wenig Brot und dünne Suppe gebe.


Bei seinem Einzug ins Camp am 20. Dezember 2016 bekommt Zafar Iqbal den Termin genannt, an dem er sich im Rathaus in Varese erstmals wegen eines Asylantrags melden kann. Es ist der 22. März 2016. Ab dann dauert es mindestens ein halbes Jahr, vielleicht zwölf Monate, bis er eine befristete Aufenthaltserlaubnis bekommt. Bis dahin passiert nichts, kein Sprachunterricht, nichts. Nur der repressive, für den unbekannten „Boss“ von afrikanischen „Hilfssheriffs“ kontrollierte Camp-Alltag. „Noch sechs Monate hier und ich bin nicht mehr am Leben.“

Zafar Iqbal mit seinem Vater Karim Qasim vor der Landesaufnahmebehörde in Bad Falingbostel

APROTO besucht Zafar Iqbal am 6. Januar 2017 in Italien. Wir sprechen mit ihm und anderen Campbewohnern und überzeugen uns von den Zus´tänden vor Ort. In einem Film dokumentieren wir schließlich seine Abschiebung, die auch dafür exemplarisch ist, dass Italien seinen Verpflichtungen aus dem Dublin-Abkommen nicht nachkommt.


Mittlerweile ist Zafar zurück in Deutschland und wird anwaltlich betreut.

 

Am 23. Januar 2017 fahren wir mit ihm zur Landesaufnahmebehörde in Bad Fallingbostel und werden dort freundlich und entgegenkommend empfangen.

 

Zafar darf anschließend mit seinem Vater Karim nachhause fahren. Sein Folge-Asylantrag wird an das Bundesamt für Flüchtlinge und Migration weitergeleitet. Herzlich willkommen zurück in der Gemeinde Bispingen!

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APROTO - Aktionen und Projekte pro Toleranz